Das klimapolitische Zeitfenster erlaubt keine durch Irrtümer in der Wahl von Technologien und Strategien verursachten Verzögerungen der Wärmewende. Eine Steigerung der Holzbauquote, im Feld der „grauen Energie“ als primäre Problemlösung angesiedelt, initiierte einen negativen Strukturwandel im Massivbau und verpasste ausreichende CO2-Einsparungen. Rückblickend brach bereits ab 1850 durch Holzknappheit die Zeit des Massivbaus an. Auch zukünftig wird die Verfügbarkeit dieser Ressource eine höhere Holzbauquote behindern. Vor einer Förderung bedarf es einer Überprüfung der Ressourcenverfügbarkeit des einheimischen Holzes, der Ziele und CO2-Einsparpotenziale. Die Studien „Alles aus Holz“ des CESR der Universität Kassel und des Thünen-Instituts zeigen Möglichkeiten und Grenzen des Bauholzeinsatzes [1]. Die dort aufgeworfenen Fragen erfordern eine Diskussion der Politik mit der gesamten Bauwirtschaft.
Die Grenzen der CO2-Einsparung durch Holzbau
Massivbau ist wie der Holzbau immer auch Hybridbau. Der Massivbauanteil an der Konstruktion von Holzbauten im Wohnungsbau liegt, abgeleitet aus dem CO2-Substitutionspotenzial, beim MFH zwischen 52-91 % MFH und 44-65 % beim EFH (ohne Keller), Nichtwohnbauten besitzen höhere Massivbauanteile. Im Tief- und Verkehrswegebau sind mineralische Baustoffe unersetzbar – 33 % des jährlichen Betonabsatzes fließen in diesen Bereich. Das Thünen-Institut untersuchte das CO2-äq-Minderungspotenzial durch Holzbau für Wohnbauten auf Grundlage der Wohnungsprognose des BBSR für den Zeitraum 2015 bis 2030. Die durchschnittlichen Herstellungs-CO2-äq-Emissionen aller Wohnneubauten in diesem 15-Jahreszeitraum, liegen bei 9,5 Mio. Tonnen pro Jahr oder rund 5 % am jährlichen CO2-Ausstoß von 200 Mio. Tonnen des Sektors Wohngebäudeheizung. Dies umreißt die Größe des Problems. Eine sofortige Erhöhung der Holzbauquote von 12 % um den Faktor 4,5 auf das schwedische Niveau von 55 % für E-ZFH und 15 % für MFH, erzielte rechnerisch CO2-Einsparungen von 1,59 Mio. Tonnen pro Jahr. Die summarische Entlastung beträgt 15,1 % aller THG-Emissionen aus der Herstellung der prognostizierten Wohnungsneubauten bis 2030. Eine in solchem Umfang sprunghaft steigende Holzbauquote ist unrealistisch. Das wirklichkeitsnähere Szenario mit einem linearen Quotenanstieg ergibt eine um 50 % geringere CO2-äq-Einsparung von 0,78 Mio. Jahrestonnen oder summarisch bis 2030 rund 8 % aller bei der Herstellung von Wohnneubauten anfallenden THG-Emissionen. Das entspricht nur 0,4 % der gesamten heutigen jährlichen CO2-äq-Emissionen des deutschen Wohnungsbaus inkl. Gebäudeheizung. Die errechneten Einsparraten reduzieren sich durch die Decarbonisierung im Massivbau und der nationalen Stromerzeugung.
Eine Förderung des Holzbaus erreichte weder eine große noch eine hinreichende Reduktion der grauen Energie und dessen THG-Emissionen im Baubereich. Hier muss der Focus auf dem Massivbau liegen (Abb. 1). Hierzu sind Gespräche zwischen dem Verband baugewerblicher Unternehmer Hessen e.V. Gespräche mit der künftigen hessischen Landesregierung und die Einrichtung einer AG sinnvoll.
Deutschland ist bereits ein Holzhochkonsumland
Zwischen 1998 und 2021 stieg der Holzeinschlag in Deutschland um das 2,1-fache. In den letzten fünf Jahren betrug der Anstieg 12 % pro Jahr und reichte nicht aus – längst wurde das an Wald fünftreichste Land Europas zum Netto-Holzimportland. Der als Holzfußabdruck bezeichnete deutsche Inlandsholzverbrauch (Abb. 2) überstieg 2021 mit 104 Millionen m³ (ohne Rinde = o.R.) den in den WEHAM-Szenarien angenommenen mittleren jährlichen Holzeinschlag von 76 Mio. m3 pro Jahr. Der Einschlag sprengt immer häufiger die Nachhaltigkeitsgrenze von 80 % des Zuwachses, da in Folge der Klimakrise Kalamitätenholz aus Sturmschäden, Trockenheit und/oder Schädlingsbefall ungeplant anfällt. Deutschland gehört als Holzhochkonsumland mit 1,6 m3 Holz pro Kopf (mit Rinde = m.R.) zur internationalen Spitze: Unser Holzverbrauch übertrifft den Weltdurchschnitt um das Zweifache und Asien um das Sechsfache. Erreichten alle Länder der Welt unser Verbrauchsniveau, stiege der globale Holzverbrauch von 4 Mrd. m³ auf 12,4 Mrd. m³ pro Jahr, die Wälder verkämen zu Holzplantagen.
Holz wird knapper – weltweit
Holz ist weltweit ein knappes Gut. Die Nachfrage steigt global und berührt die mittelfristige Holzverfügbarkeit. Ein Bauboom in Asien und USA erzeugte Knappheiten und Preissteigerungen bis zu 700 %. Unsichere Holzpreise sind ein Risikofaktor für den Erfolg des Holzbaus am Markt.
Die Wälder sind im Stress. Die Hälfte der tiefwurzelnden Buchen weisen bereits Kronenschäden auf. Waldschädigende Ereignisse wie Waldbrände, Sturmschäden, Austrocknung und Schädlingsbefall bewirken einen Rückgang der Holzproduktion: Prognostiziert werden weltweite Kapazitätsreduktionen bis zu 35 % oder fast 1,5 Mrd. Kubikmeter Holz (m.R.) pro Jahr. Notverkäufe von Kalamitätenholz drücken die Erlöse und erschweren die Wiederaufforstung von privaten Wäldern, die 43 % der deutschen Waldfläche ausmachen.
Zudem verebbt in Deutschland die hohe Holzangebotswelle aus den großen Fichtenpflanzungen nach 1945. Die Anbauflächen der nun erntereifen Holzjahrgänge sind bis zu 50 % kleiner, ihr hoher Buchenanteil um ein Drittel ertragsärmer als Nadelholz, was auch für die künftig erforderlichen Mischwälder gilt. Zudem erfordert Laubholz eine teurere Bauholzherstellung. Im Widerspruch zur ursprünglichen Intention des Holzbaus steigert sie den Herstellungsenergieaufwand vieler Produkte um den Faktor 9.
Gleichzeitig wird der EU-Biodiversitätsschutz (EUBDS) das Nutzholzangebot bis zum Jahr 2050 zwischen 10 und 58 Prozent reduzieren. Die Montrealer UN-Beschlüsse zur Biodiversität stellen 30 % aller Land- und Meeresflächen unter Schutz, Europas geschützte Landflächen betragen bisher nur 10 %.
Holz reicht nicht für alles
Neue bioökonomische Holzanwendungen mit hohen Wachstumsfaktoren steigern die künftige Holznachfrage: Holzbau, Holz als Rohölersatz bei chemischen Grundstoffen, Kleidung aus Holzfasern, Brennholz, Bio-Kunststoffe, wachsende Verpackungsmengen im Internethandel. (Abb. 3+4) Allein ein Rohölersatz durch Lignin in der Olefin- und Aromatenproduktion der deutschen Chemieindustrie benötigte mit jährlich 178 Mio. m³ Rohholz das 2,3-fache des deutschen Holzeinschlags. Die Studie „Alles aus Holz“ stellt fest: „Würden wir in Deutschland alle mit Holz bauen, würde kaum mehr inländisches Holz für die anderen Sektoren zur Verfügung stehen.“ Eine UBA-Studie ergänzt: „eine Erhöhung der Holzbauquote ohne Importe, sondern nur mit Zunahme der heimischen Waldfläche (wird) als unrealistisch eingeschätzt.“ [2]. Bedarfsabschätzende Studien zeigen: Das verfügbare Holzpotenzial ist schon mit dem Ersatz von Beton überfordert. Die Substitution der globalen Betonmenge von jährlich 4,65 Mrd. Tonnen Zement nebst 30 Mrd. Tonnen Zuschlagstoffen benötigte mit 40 Mrd. Kubikmeter Holz pro Jahr das 10-fache der weltweiten Holzentnahme. Oliver et.al. zeigten 2014 einen globalen Holzbedarf von jährlich bis zu 17 Mrd. m3 Rundholz (o.R.), das 4,25-fache der bisherigen globalen Holzernte, um „durch die Verwendung von Holzersatzstoffen 14 bis 31 % der globalen CO2-Emissionen“ einzusparen. Der von Churkina et. al. festgestellte Rohholzbedarf von 5 Mrd. m³ pro Jahr (o.R.) für die Holzbauweise bei 90 Prozent aller künftig global errichteten städtischen Neubauten, übersteigt ebenfalls die heutige Welt-Holzernte [3]. Zudem konkurrieren die neuen bioökonomischen Holzbedarfe untereinander um das knapper werdende Holz, erhebliche negative Auswirkungen auf die Holzpreise und damit die Wohnraumversorgung sind erwartbar.
500 Milliarden Bäume für eine Holzbauwende?
Das deutsche „Bauhaus der Erde“ propagiert eine globale Umstellung auf Holzbau, wozu weltweit 500 Mrd. Bäume neu gepflanzt werden sollen. Dagegen gibt es internationale Kritik, die das Aufforstungspotenzial auf ca. 70 Mrd. Bäume begrenzt, denn neue Wälder auf bisher nicht bewaldeten Flächen wie Wüsten und Savannen verändern deren Wärmerückstrahlvermögen in den Weltraum und wirken dadurch sogar klimaerwärmend [4]. Wegen dieser Flächeneinschränkung und des langsamen Baumwachstums sind erst nach 60-100 Jahren 2-3 Mrd. m³ Holzeinschlag p.a. zu erwarten. Zu wenig, zu spät und nicht ausreichend für die propagierte Holzbauquote von 100 %. Außerdem fehlt ein Konzept für diese Idee, während globaler Waldverlust die Realität bildet.
„Risikokorridor“ hilft bei der Holzeinsparung
Ein nationaler Risikokorridor für den Holzverbrauch (Abb. 5) mit nationalen und regionalen Benchmarks würde die Kontrolle des Inlandsholzverbrauchs ermöglichen und wäre ein hilfreiches Instrument einer auf die neuen Entwicklungen reagierenden Holzpolitik. Die Fixierung seiner Anforderungen bedarf einer Debatte. Ähnlich den Energiekennwerten für Gebäude enthielte der Risikokorridor Grenz- und Zielwerte für den Holzverbrauch. Die Universität Kassel schlägt dafür ein Wertepaar zwischen 50 bis 80 % des Holzzuwachses oder 0,7 bis 1,2 m3 Holz (m. R.) pro Kopf und Jahr vor. Unser gegenwärtiger pro-Kopf-Holzverbrauch liegt dagegen bei 1,6 m³ (m.R.). Das Kriterium „hohes Nachhaltigkeitsrisiko“ sicherte den Waldbestand durch einen Holzeinschlag von 80 % des Zuwachses. Ein „geringes Nachhaltigkeitsrisiko“ sicherte mit 50 % alle Ökosystemleistungen der Wälder. Für jeden Holzverbrauchssektor blieben nur dann Spielräume nach oben, wenn andere Sektoren einsparten.
Holzeinsparung ohne Alternative
Es ist Zeit für einen Wandel. Holzeinsparung wird als Instrument nachhaltiger Waldpolitik unverzichtbar. Nochmals betont: Deutschland ist Holzhochkonsumland mit steigendem Verbrauch. Die erforderlichen Importe stammen oft aus Ländern mit übernutzten Holzressourcen. Die Gefahren für das Ökosystem der globalen Wälder wachsen. Eine Umkehr erfordert Änderungen auf der Holzangebots- und der Verbrauchsseite zur Sicherung aller „Ökosystemleistungen“ des Waldes. Holz reicht künftig nicht für alle Sektoren und keineswegs für ihre Ausweitung. Die Holz-Nutzung gehört demzufolge – wie die alten energieverschwendenden Bauweisen – auf den Prüfstand, Holzeinsparung wird zum Königsweg. Die Holzwirtschaft benötigt eine Strategie des Recyclings und der Kaskadennutzung. Anderenfalls läge der Pro-Kopf-Holzverbrauch im Jahr 2030 um rund 230 Prozent bis 350 Prozent höher als die untere bzw. obere Grenze des globalen Pro-Kopf-Risikokorridors.
Die Symbiose
Gute Lösungen entwickeln sich aus den vorhandenen Strukturen heraus. Die trotz Holzbau verbleibenden THG-Emissionen des Massivbaus (Abb. 1) erfordern zwingend eine umfassendere Lösung für die graue Energie: Die Reduktion der auf dem Massivbau beruhenden Emissionen durch Decarbonisierung und Modernisierung ist alternativlos. Deren CO2-Minderungspotenzial im Wohnungsbau kann mit etwa 3,5 bis 5,0 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr abgeschätzt werden und liegt um den Faktor 5 über den vom Thünen-Institut berechneten CO2-Einsparungen durch Holzbau, der ohnehin eine Lösung auch für seinen hohen Massivbauanteil benötigt. Es senkt auch die THG-Emissionen bei der Altbaumodernisierung. Wichtige Massivbausparten legten bereits Roadmaps vor. Der Wandel hat bereits begonnen [5]. Der Holzbau kann in den Grenzen eines Holz-Risikokorridors zusammen mit der mineralischen Baustoffindustrie zu einer Gesamtlösung beitragen, unterstützt durch die nationale Decarbonisierung der Energieversorgung. Eine solche Kooperation entlastet die Wälder. Angesichts der Rodung unserer letzten Urwälder im 12. Jahrhundert und der ungleichen globalen Verteilung des Holzverbrauchs, dienten wir den Wäldern der Welt vorbildlich, wenn der Holzeinschlag nicht mehr an einem steigenden Holzverbrauch, sondern umgekehrt der Verbrauch am möglichen Holzeinschlag orientiert würde. Eine Verengung des Baustoffmarktes auf einen einzigen bereits knappen und teuren Baustoff führt hingegen zu sozialen und preislichen Verwerfungen, mit negativen Auswirkungen auf die Wohnraumversorgung.
Der Autor
Dipl.-Ing. Werner Eicke-Hennig
Baute die Hessische Energiespar-Aktion auf und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Wohnen und Umwelt in Darmstadt. Nach dem Studium zum Bauzeichner, Architekten und Stadtplaner gründete er eine unabhängige Energieberatung in Kassel und führte zahlreiche Studien zu Niedrigenergiehäusern und dem Potenzial der Gebäudesanierung am IWU in Darmstadt durch. Er ist Autor zahlreicher Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen zum Thema Energieeinsparung
Fußnoten
[1] Universität Kassel, Center for Environmental Systems Research, Alles aus Holz – Rohstoff der Zukunft oder kommende Krise? Ansätze zu einer ausgewogenen Bioökonomie, Kassel 2022; Hafner A.; Rüter S.; Ebert S.; Schäfer S.; König, H.; Cristofaro L.; Diederichs; S.; Kleinhenz, M.; Krechel, M. (2017): Treibhausgasbilanzierung von Holzgebäuden – Umsetzung neuer Anforderungen an Ökobilanzen und Ermittlung empirischer Substitutionsfaktoren, THÜNEN-Institut und Ruhruniversität Bochum, 2017. https://www.uni-kassel.de/uni/aktuelles/meldung/2022/07/7/auf-dem-weg-zum-entwaldeten-planeten?cHash=32ca6a305f406bf7565fb593ee0c7ad9 [2] UBA Texte 192-2020, Institut für angewandte Forschung im Bauwesen (IaFB) e.V., Potenziale von Bauen mit Holz, Berlin/Dessau 2020. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/potenziale-von-bauen-holz [3] P. J. Verkerk, M. Hassegawa, J. van Brusselen, M. Cramm, X. Chen, et al., “Forest products in the global bioeconomy – Enabling substitution by wood-based products and contributing to the Sustainable Development Goals”, Rome, FAO, 2021. doi: 10.4060/cb7274en.; C. D. Oliver, N. T. Nassar, B. R. Lippke, and J. B. McCarter, “Carbon, Fossil Fuel, and Biodiversity Mitigation with Wood and Forests”, Journal of Sustainable Forestry, vol. 33, no. 3, pp. 248–275, Apr. 2014, doi: 10.1080/10549811.2013.839386; G. Churkina et al., “Buildings as a global carbon sink”, Nature Sustainability, vol. 3, no. 4, pp. 269–276, Apr. 2020, doi: 10.1038/s41893-019-0462-4. [4] https://www.bauhauserde.org/; S. Rohatyn, D. Yakir et. al., Limited climate change mitigation potential through forestation of the vast dryland regions in: Science 377, 1436- 1439 (2022); [5] VCI (Hrsg.) FutureCamp GmbH/DECHEMA, Roadmap Chemie 2050, München 2022; VDZ, Eine CO2-Roadmap für die deutsche Zementindustrie, Düsseldorf 2020; Prof. Amory B. Lovins, RMI, Profitably Decarbonizing Heavy Transport and Industrial Heat – Transforming These “Harder-to-Abate” Sectors Is Not Uniquely Hard and Can Be Lucrative, in: RMI emeritus inside series, Basalt, 2021; United Nations Environment Programme (Hrsg.), Karen L. Scrivener et. al., Eco-efficient cements: Potential economically viable solutions for a low-CO2 cement-based materials industry, UN Environment Economy Division Energy and Climate Branch 1 rue Miollis, Building VII, 75015 Paris 2017 www.unep.org; Bundesverband Kalksandsteinindustrie, Roadmap für eine treibhausgasneutrale Kalksandsteinindustrie in Deutschland, Hannover 2021; Bundesverband der Deutschen Ziegelindustrie, Roadmap für eine treibhausgasneutrale Ziegelindustrie in Deutschland, Hannover 2021; IVHJ, EPS-Recycling: https://www.ivh.de/umwelt/recycling/