Image
29.04.2024
Wirtschaft

Wohnungsmarktprognose 2024 – Zahlen von empirica weichen deutlich von anderen Prognosen ab

Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vom November 2021 das Ziel fixiert, jährlich 400.000 Wohneinheiten (WE) zu errichten. „Unser Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen.“ Dies war/ist letztlich eine politische Zielstellung, die den offensichtlich bestehenden Mangel an preiswerten Wohnraum adressiert. Dieser Zielmarke lag zum Formulierungszeitpunkt keine wissenschaftliche Ableitung zugrunde.

Die letzte, durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), erstellte Studie zum Wohnungsbedarf 2030 datiert aus dem Jahr 2015. Danach lag der Neubaubedarf im Jahresmittel bis 2030 bei 230.000 WE. Im Zeitraum 2015 bis 2020 lag die Marke dabei bei 272.000 WE, zum Ende des Betrachtungszeitraumes bei jährlich 180.000 WE. Antizipiert wurden bei dieser Prognose die demografische (regionale) Entwicklung, der Wohnungsbestand, der Ersatzbedarf an Gebäuden, aber auch die Entwicklung der Haushaltszahlen und des Wohnflächenbedarfes je Einwohner. Diese bundeseigene Prognose ging u.a. noch von einem Bevölkerungsrückgang bis 2030 in Höhe von 1,7 Mio. Personen aus. Diese Datenlage spiegelte schon nicht mehr die Situation zu Beginn der jetzt laufenden Legislaturperiode wider, geschweige denn die nach Beginn des Krieges von Russland gegen die Ukraine. Gleichwohl gibt es bisher keine aktualisierte bundeseigene Prognose zum Wohnungsbedarf.

Zum Zeitpunkt der Formulierung des Koalitionsvertrages vorliegende Studien ermittelten einen Wohnungsbedarf zwischen 250.000 WE und 300.000 WE in der Zeit von 2021 bis 2025 und zwischen 185.000 und 284.000 WE in den Jahren 2026 bis 2030. Die seinerzeitigen Prognosewerte der verschiedenen Institute zum Bedarf an neu zu erstellenden Wohneinheiten können der Abbildung entnommen werden.

Mit der Invasion Russlands in die Ukraine Ende Februar 2024 setzte eine Flüchtlingsbewegung auch nach Deutschland ein, die u.a. empirica dazu veranlasste, seine Prognose von Anfang Februar 2022 noch im März 2022 zu aktualisieren. Darin wurde dann formuliert: „So weist die jüngst (vor Kriegsbeginn) von empirica erstellten Wohnungsnachfrageprognosen eine Neubaunachfrage von rund 250.000 Wohnungen je nach Szenario aus. Im Ergebnis reicht vermutlich die Differenz zwischen bestehendem hohen Neubauziel der Bundesregierung und dem tatsächlich geringeren Neubaubedarf aus, die Folgen des Ukraine-Krieges für den Wohnungsmarkt auszugleichen.“ Letztlich hat also die im November 2021 proklamierte politische Zielvorgabe von 400.000 pro Jahr zu errichtenden Wohneinheiten mit der Zunahme der Flüchtlingsbewegung infolge des Ukrainekrieges ab 2022 ein Fundament bekommen.

empirica setzt jetzt mit seiner aktualisierten Prognose 2024 auf der 15. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes auf. empirica lehnt sich dabei eng an die dort gezeichneten drei Szenarien der Bevölkerungsentwicklung. Im oberen Szenario wird dabei mit einem jährlichen Wanderungssaldo nach Deutschland in Höhe von ca. 400.000 Personen und im unteren Szenario mit knapp 200.000 Personen gerechnet. Betrachtungszeitraum sind diesmal die Jahre bis 2045. Im unteren Szenario sinkt dabei die Bevölkerungszahl in Deutschland von gegenwärtig ca. 84 Mio. Einwohnern auf ca. 81 Mio. Einwohner in 2045. Im oberen Szenario steigt sie hingegen bis 2045 auf 88 Mio. Einwohner. Im mittleren Szenario verbleibt die Bevölkerungszahl etwa auf bisherigem Niveau. Die bereits erfolgte Zuwanderung aus der Ukraine ist bei den Szenarien schon berücksichtigt.

Ohne auf weitere Komponenten (z.B. Haushaltsentwicklung, Entwicklung Wohnflächenbedarf, Ersatzbedarf Gebäude) einzugehen, stellt empirica dann die jährliche Neubaunachfrage in den Szenarien in verschiedenen Zeiträumen dar; siehe Abbildung 5 in der als Anhang beigefügten Studie. In der mittleren Variante werden im Zeitraum 2024 bis 2027 dabei jährlich knapp 170.000 WE nachfrageseitig wirksam, in der oberen Variante sind es 210.000 WE, in der unteren 130.000 WE. In den nachfolgenden Jahren bis 2045 steigt nach dieser Nachfrage-Prognose der Bedarf sukzessive an, im mittleren Szenario bis auf ca. 211.000 WE pro Jahr.

Bewertung

empirica weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei dem institutseigenen Vorgehen um eine reine Neubau-Nachfrage Prognose handelt. In Abgrenzung zu anderen Studien liegt hier die Betonung mit „Nachfrage“ auf der Marktwirksamkeit des Bedarfes. So stellten andere Studien, wie die der Böckler-Stiftung und des Pestel-Institutes, z.B. auf die Bezahlbarkeit der Wohnungen ab: „Dazu werden Annahmen getroffen, wie hoch eine Mietbelastung höchstens sein sollte (z.B. 30 % vom Einkommen). Anschließend wird in einem Gedankenexperiment untersucht, ob es möglich wäre, die vorhandenen Wohnungen so umzuverteilen, dass kein Haushalt eine Belastung von mehr als 30 % tragen müsste. Die Anzahl der Haushalte, denen man selbst in diesem theoretischen Feldversuch keine „bezahlbare“ Wohnung zuordnen könnte, wird dann als Zusatzbedarf an „bezahlbaren“ Wohnungen deklariert.“ Diese Studien kommen regelmäßig auf einen deutlich höheren Bedarf von 400.000 und mehr Wohneinheiten.

Zudem wird bei empirica kein Nachholbedarf für die „Unterproduktion“ von Wohnraum in den letzten Jahren berücksichtigt. Schließlich verweist empirica darauf, dass auch Wohnraum an Orten errichtet wird, wo eigentlich kein Mengenbedarf gegeben ist (Fertigstellungen „am falschen Ort“), weil der verfügbare Bestand nicht den qualitativen Ansprüchen potenzieller Investoren entspricht. Hier bedeute eine WE Neubau zugleich ein WE neuen Leerstand. So sind allein in 2022 aus Sicht von empirica ca. 115.000 WE „zu viel“ errichtet worden. Würde man diese 115.000 WE zu dem von empirica ermittelten Bedarf von ca. 170.000 WE hinzuaddieren, käme man allein deshalb auf einen Bedarf von ca. 300.000 WE pro Jahr. Auch insofern liegen die tatsächlichen Fertigstellungszahlen in den letzten Jahren immer deutlich oberhalb der Prognosen zur Wohnungsnachfrage von empirica.

Dringend erforderlich ist, dass die Bundesregierung zeitnah wieder eine eigene Wohnraumbedarfsprognose erstellt. Hierbei sollten, wie in der Prognose von 2015, transparent nachvollziehbar alle Faktoren, die die Nachfrage generieren, abgeleitet werden. Dies ist sowohl zur Verifizierung der bundeseigenen Zielstellungen erforderlich aber auch im Hinblick auf die breite Varianz der derzeit veröffentlichten Studien zum Wohnraumbedarf.

Die Studie finden Sie hier: Wohnungsmarktprognose 2024 (empirica-institut.de)

 

Ihr Ansprechpartner

Markus Geiser

Betriebswirtschaft

Telefon: 069 / 958 09-170
E-Mail: geiser@bgvht.de

Ähnliche Beiträge

14.05.2024
Digitalisierung

Online-Seminar: ChatGPT & Co.: KI im Handwerk effizient nutzen

Sie haben die Chance, in die faszinierende Welt der Künstlichen Intelligenz einzutauchen und zu erfahren, wie Sie diese …
08.05.2024
Pressemitteilungen

Hessischer Baugewerbeverband empfiehlt Erhöhung der Löhne und Gehälter um 5 Prozent ab Mai 2024

Frankfurt, 8. Mai 2024. Der Verband baugewerblicher Unternehmer Hessen e. V. empfiehlt seinen Mitgliedern eine pauschale Erhöhung der …
06.05.2024
Startseite

Informationen nach Ablehnung des Schlichterspruchs

Aktuelle Informationen nach Ablehnung des Schlichterspruchs in den Lohn- und Gehaltstarifverhandlungen 2024 inkl. Vorlagen und Downloads finden unsere …
13.05.2024
Wirtschaft

Konjunkturumfrage Frühjahr 2024 – Ihre Meinung ist uns wichtig. Jetzt noch teilnehmen!

Die Auftragslage am Bau hat sich im letzten Jahr spartenabhängig unterschiedlich entwickelt. Was bedeutet das für die Umsatz-
13.05.2024
Wirtschaft

PWC-Studien: Nachhaltigkeit, Taxonomie und Digitalisierung

PriceWaterhouseCooper (PwC) hat eine neue Studie über die deutsche Bauwirtschaft unter dem Titel „Die Bauindustrie in Krisenzeiten: Fortschritte
08.05.2024
Wirtschaft

Geräteverrechnungssatz berechnen

In der Regel werden die Gerätekosten kalkulatorisch über den Gemeinkostenzuschlag abgedeckt. Dieser enthält die notwendigen Abschreibungen, Reparaturkosten etc.